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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 09.11.2005


Sarah Kane
Karin Effing

Gleich zwei Stücke der britischen Autorin sind im November 2005 in Berlin zu sehen. "Gesäubert" in der Regie von Benedict Andrews und "4.48 Psychose" mit Isabel Huppert bei spielzeiteuropa.




Die Karriere der Dramatikerin Sarah Kane, 1972 in Essex geboren, begann 1995 schlagartig mit einer heftigen öffentlichen Kontroverse um die Uraufführung "Zerbombt", ihrem ersten Stück. Die Gewaltdarstellungen schockierten und erhitzten die Gemüter. Über Nacht wurde die junge talentierte Künstlerin auf die Nachrichtenseiten der Boulevardpresse und in die Feuilletons der seriösen Zeitungen katapultiert. Dabei wurden von vielen KritikerInnen die poetischen Momente, die Shakespearesche Anatomie der Figuren und die Kraft ihres Ausdrucks übersehen. Das Gate Theatere bot ihr einen geschützten Raum, um ihr Schreiben weiter entwickeln zu können und es entstand eine Bearbeitung des Phaidra-Mythos "Phaidras Liebe"(1996). Es folgten "Gesäubert"(1998) und "Gier"(1998). Seit 1996 war Sarah Kane Hausautorin der Paines Plough Theatre Company in London. Im Februar 1999 nahm sie sich im Alter von 28 Jahren das Leben. Die Uraufführung ihres letzten Stückes "4.48 Psychose" erfolgte posthum im Juni 2000 am Royal Court Theatre.

"Um 4.48 Uhr, wenn die Verzweiflung mich überkommt, werde ich mich aufhängen", schreibt sie darin. Die Autorin, die immer wieder unter schweren Depressionen litt, wachte in der Zeit der Niederschrift immer wieder um 4.48 Uhr mit Selbstmordgedanken auf. Die junge Autorin verlässt in ihrem letzten Werk fast vollständig den herkömmlichen Dramentext mit handelnden Personen und Regieanweisungen. Es ist eine Art Selbstgespräch in rhythmisch-poetischer Prosa - nach Sarah Kane "nur Sprache und Bilder, wobei auch die Bilder lediglich Sprache sind".
Isabelle Huppert ist die herausragende Interpretin in Claude Régys Inszenierung, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „spielzeiteuropa“ stattfindet. Fast unbeweglich steht sie am Bühnenrand, allein, hochkonzentriert und überwach, kleinste Bewegungen genügen ihr zur Verdeutlichung der Worte, die sie millimetergenau in den Raum stellt. Der französische Regisseur überlässt die Bühne ganz seinem Star, lediglich in ein paar dialogischen Passagen taucht ein männlicher Gesprächspartner (Gérard Watkins) auf. Aus dem grandiosen Text Kanes wird auf diese Weise ein vielstimmiger Monolog, der jenseits aller vordergründigen Emotionen der Trauer und dem Wissen um das Scheitern mit ungeheurer Intensität Ausdruck verleiht.

Die Schaubühne ist dem Werk Sarah Kanes besonders verpflichtet. Im März 2005 vervollständigte die Spielstätte ihre Aufführungen der Stücke der britischen Schriftstellerin mit der Inszenierung von "Zerbombt" in der Regie von Thomas Ostermeier. Damit ist die Schaubühne weltweit das einzige Theater, das alle Stücke der Autorin im Repertoire hat.
Im gleichen Jahr inszenierte Thomas Ostermeier die deutschsprachige
Erstaufführung von "Gier" an der Schaubühne. Es folgten "4.48 Psychose" in der Regie von Falk Richter (2001) und "Phaidras Liebe" in der Regie von Christina Paulhofer (2003).
"Gesäubert" in der Regie von Benedict Andrews (2004) wird im November zweimal an der Schaubühne zu sehen sein. Das Stück findet an einem Ort statt, der ebenso gut Klinik wie auch Universität oder Gefängnis sein könnte. Unumschränkter Herrscher dieses Reiches ist der Psychiater Tinker. Mit physischen und psychischen Übergriffen von rätselhafter Wucht zerstört er alle emotionalen Bindungen, die sich innerhalb seines Wirkungskreises zu entwickeln drohen. Ist er machtbesessener Sadist, metaphysischer Todesengel oder Handlanger eines totalitären Regimes? Als Grace an diesen Ort kommt - auf der Suche nach Spuren ihres Bruders, der hier starb, zieht ihre unbeirrbare Geschwisterliebe Tinkers gefährliche Aufmerksamkeit auf sich.
Anders als in ihren beiden ersten Stücken – "Zerbombt" und "Phaidras Liebe", löst Sarah Kane in "Gesäubert" Handlung und Figuren aus einem sozialrealistischen Kontext heraus und beschreibt eine doppelbödige Welt, in der Liebe Heilung und Krankheit, Befreiung und pathologische Abhängigkeit bedeuten kann. Die starke Abstraktion und sprachliche Komprimierung der Szenen lässt im Leiden der Figuren einen existentiellen Grundkonflikt aufscheinen, der weit über die Privatheit individueller Liebestragik hinausgeht. Gleichzeitig feiert "Gesäubert" in poetischen Bildern die Stärke und Schönheit der Liebe und ist insofern wohl Sarah Kanes optimistischstes Stück.

"4.48 Psychose" von Sarah Kane
Regie: Claude Régy
23. bis 26.November 2005, jeweils um 20 Uhr

In französischer Sprache mit deutscher Übertitelung
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "spielzeiteuropa"
Publikumsgespräch am 24.11.2005 im Anschluss an die Vorstellung.

Berliner Festspiele
Schaperstraße 24
10719 Berlin
www.spielzeiteuropa.de

"Gesäubert" von Sarah Kane
Deutsch von Elisabeth Plessen, Nils Tabert, Peter Zadek
Regie: Benedict Andrews
14. und 15. November 2005, jeweils um 20 Uhr

Tinker: Matthias Matschke
Graham:Lars Eidinger
Carl:Mark Waschke
Rod: Felix Römer
Grace: Jule Böwe
Robin: David Ruland
Frau: Christina Geiße

Schaubühne am Lehniner Platz
Kurfürstendamm 153
10709 Berlin
www.schaubuehne.de



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Beitrag vom 09.11.2005

AVIVA-Redaktion